Oder: Warum ich mich mit der eigenen Endlichkeit auseinandersetzen sollte

Von Uli Hambuch

Mein ganzes Berufsleben war ich immer in irgendeiner Form unterwegs, in Deutschland, Europa und der Welt. Als Medizintechniker und Berater im Gesundheitswesen hatte ich immer mit Menschen in medizinischen Einrichtungen von kleinen Krankenhäusern bis Universitätsklinika sowie Sozial- und Pflegeeinrichtungen zu tun. Allein von daher waren mir Themen, die u.a. mit dem Ende des Lebens umzugehen versuchen, vertraut.

In vielen Unterhaltungen mit meiner Frau habe ich oft genug erwähnt: „Ich kann sagen, wann ich morgens das Haus verlasse, ob ich aber abends auch zu dieser  Tür hereinkomme, weiß ich nie“. Von daher haben wir uns schon sehr früh mit Dingen wie Testament, Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht auseinandergesetzt. Und eines Tages, an einem wunderbaren Septemberabend 2015 mit einem guten Glas Wein, bekam meine Frau während der Unterhaltung Sprach- und Artikulationsprobleme, die uns veranlassten  wegen der Vermutung auf einen Schlaganfall, den Notarzt zu rufen. Nach entsprechenden Untersuchungen in der Klinik vom Internisten bis zum Neurochirurgen bekam sie dann die Nachricht: „Da ist etwas in ihrem Kopf, was da nicht hingehört….“ (medizinisch nach histologischem Befund „Glioblastom IV) Diverse OP’s und Chemotherapien folgten und innerhalb von 15 Monaten ist sie dann mit 57 Jahren an diesem Hirntumor und seinen Auswirkungen verstorben. 

In diesen Monaten der Erkrankung habe ich dann die beiden Seiten, wie mit schwerkranken (und in der Konsequenz sterbenden) Menschen umgegangen wird und wie möchte ich, dass mit diesen Menschen umgegangen wird, zum Teil auf extreme Weise kennengelernt.

Grundsätzlich hat es sich für uns als sehr vorteilhaft gezeigt, eine (gegenseitige) Patientenverfügung mit dazugehörender Vorsorgevollmacht zu haben. Zu den körperlichen Beeinträchtigungen im Verlauf der Krankheit kamen ja die neurologischen / sprachlichen Einschränkungen hinzu. Von daher verlagerten sich die ärztlichen Fragen an uns und die zu treffenden Entscheidungen immer mehr auf meine Seite. Am Ende bis hin zu dem Punkt, wo die Frage nach Therapiefortsetzung oder Therapieabbruch zu klären war. Spätestens hier prallten dann die Ansichten, Meinungen, Vorstellungen und Wünsche stark aufeinander. Fakt war, dass eine „Heilung“ bei diesem Befund nicht möglich ist sondern nur von einer Möglichkeit der Lebensverlängerung gesprochen werden sollte. Was bedeutet dann Lebensverlängerung für eine Patientin, die sich sprachlich nicht mehr klar und eindeutig äußern kann, in ihrer Bewegungsfähigkeit massiv eingeschränkt ist, auf Hilfe und Stütze angewiesen ist und auch noch Schmerzen hat? Der Neurochirurg hat selbst zu diesem Zeitpunkt die Meinung vertreten, dass das (4.) Rezidiv immer noch operabel sei. Ich habe dann entschieden, keine weiteren operativen bzw. chemotherapeutischen Maßnahmen mehr durchzuführen. Mit Unterstützung des örtlichen ambulanten Hospizdienstes, eines Pflegedienstes, meiner Kinder, der weiteren Familie, Freunden und eines spezialisierten ambulanten Palliativdienstes haben wir die letzten Lebenswochen meiner Frau zu Hause gestaltet. In der Traueranzeige stand u.a. „Am Donnerstagnachmittag, den 12. Januar ist im Kreise der Familie und mit Klavierbegleitung Lisa Hambuch nicht plötzlich, nicht unerwartet und dennoch viel zu früh sanft und friedlich  eingeschlafen.“

Was hat diese Erfahrung jetzt mit meinem eigenen, irgendwann einmal kommenden Tod zu tun?

Ich möchte jeden ermutigen, sich Gedanken über sein Lebensende (und das kommt todsicher) und auch darüber hinaus zu machen. Das beginnt mit der Überlegung, welche medizinischen Maßnahmen im Notfall ergriffen oder auch unterlassen werden sollen. Hier ist, auch mit Unterstützung des Hausarztes oder einer Beratung bei einem Hospizdienst, möglichst hohe Aussagekraft und Präzision gefragt. Daneben sollten diese Überlegungen und Wünsche mit vertrauten Menschen besprochen und erläutert und in einer entsprechenden Patientenverfügung festgehalten werden. Diese vertrauten Menschen (Partner, Kinder, Bevollmächtigte) müssen ja dann in einer entsprechenden Situation in der Lage sein, diese Wünsche zum Ausdruck zu bringen und auf deren Umsetzung zu achten oder sogar zu bestehen. Ärzte haben hingegen grundsätzlich die Pflicht, im Notfall alle medizinischen Maßnahmen zum Lebenserhalt vorzunehmen. Und bei der Überlegung, welche dieser medizinischen Interventionen an oder mit mir durchgeführt werden, sollte zwischen einem akuten Notfall und ggf. längerfristigen Maßnahmen versucht werden zu unterscheiden. Als Beispiel seien hier nur die verschiedenen Ausprägungen der COVID 19 Erkrankung genannt. Eine externe Beatmung kann akut lebensrettend sein. Wenn jedoch durch den Krankheitsverlauf schwere Schäden eintreten / eigetreten sind: wie lange  will ich denn als Patient beatmet werden und welche Folgeschäden bin ich denn bereit, in Kauf zu nehmen? Wo liegen meine persönlichen Kriterien, an denen eine Heilung oder Genesung fest zu machen sind?

Bei der Erarbeitung meiner eigenen Patientenverfügung wurden mir von meinem Hausarzt in einem ersten Gespräch einige wesentlichen Fragen gestellt:

  • Wie gerne leben Sie?
  • Wenn Sie ans Sterben denken, was kommt Ihnen dann in den Sinn?
  • Darf eine medizinische Behandlung dazu beitragen, ihr Leben in einer Krise zu verlängern? Welche Belastungen und Risiken wären Sie bereit, dafür in Kauf zu nehmen?
  • Gibt es Situationen, in denen Sie nicht mehr lebensverlängernd behandelt werden wollen?

Mit den Antworten und Überlegungen zu diesem Fragenkatalog wurde dann in einem Folgegespräch (und der Arzt hat sich hier sehr viel Zeit genommen) eine sehr individuelle, umfassende Patientenverfügung erstellt. Diese Patientenverfügung ist gut, reicht allerdings alleine nicht aus. Eine Vorsorgevollmacht, die eben festlegt, wer die Patientenverfügung umsetzen und zur Anwendung bringen soll, gehört dazu. Daneben kann die Vorsorgevollmacht dann weitere Dinge, wie u.a. die Regelung des Aufenthaltsortes, Anwendung von freiheitseinschränkenden Maßnahmen, Bankvollmachten -die auch über den Tod hinaus gelten sollten-, Umgang mit dem digitalen Erbe usw. usw.

…und nach dem Ende des Lebens: wie, wo, worin möchte ich bestattet werden, wie sollte meine Gedächtnis- oder Auferstehungsfeier gestaltet werden, wer wird informiert oder eingeladen…oder überlasse ich alles meinen vielleicht vorhandenen Nachkommen oder dem Beerdigungsinstitut??

Für Mutige unter den LeserInnen: https://colors-of-death.de/ gibt interessante, bedenkenswerte oder auch herausfordernde Anregungen zu Gestaltung der eigenen Trauerfeier.

„Das Sterben der anderen“….nein, es sind nicht immer nur die anderen, irgendwann trifft es mich und jeden persönlich.


Uli Hambuch an der Eröffnungsveranstaltung "25 Jahre Ökumenische Hospizbewegung Bad Honnef".

Uli Hambuch ist ehrenamtlicher Mitarbeiter in der Sterbe- und Trauerbegleitung der Ökumenischen Hospizbewegung Bad Honnef e.V.

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